Nein, es geht mir nicht gut


Ehe du fragst: Nein, es geht mir nicht gut. Und ich weiß, dir geht es auch nicht gut.

Ich öffne am Morgen die Augen und lese in der Sydsvenskan über eine große Antiisraeldemonstration, die am 9. Mai in Malmö geplant ist. Die Veranstalter rechneten mit zehn bis zwanzig Tausend Teilnehmern, obwohl sich bislang nur einige wenige auf den Facebookaufruf gemeldet hätten. Noch, meint Pia Jacobsen, eine der Veranstalterinnen, könnte die EBU reagieren und Israel vom Eurovision Song Contest ausschließen. Mit Russland hätte man das schließlich auch gemacht, nachdem es die Ukraine angegriffen hatte. Sag mal, stimmt’s noch? Wie kann man einen Angriffskrieg einer Diktatur gegen ein demokratisches Nachbarland ungestraft und unkommentiert mit einem Verteidigungskrieg eines demokratischen Staates gegen ein selbstherrliches Regime von gemeinen Verbrechern gleichsetzen?

Ich lese weiter: In der Dagens Nyheter stolpere ich über einen Artikel über die Palestine Cola, die der palästinensische Araber Hussein Hassoun aus Malmö, dessen Vorfahren aus der nordisraelischen Stadt Safed kommen, die, wie betont wird, auf Arabisch Safat heißt. Der Gedanke, eine eigene Cola zu kreieren, wäre ihm nach dem 7. Oktober 2023 gekommen. Der Erlös aus dem Verkauf der Cola solle den Palästinensern in Gaza zu Gute kommen. Ja, glaubt der denn wirklich, dass diejenigen in Gaza, die das Geld wirklich brauchen, auch nur einen Cent abbekommen? Ja, laut Dagens Nyheter glaubt er das. Auch Dank der Berichterstattung der schwedischen Presse über den Krieg glaubt er das. Die lässt nämlich keinen Zweifel daran, dass alles Schuld der Israelis ist, ja, sogar die Hamas selbst sei eine Kreation der Israelis, lese ich an anderer Stelle.

Gleichzeitig lese ich, natürlich nicht in einer schwedischen Zeitung, von einem kleinen beduinischen Mädchen, das von den iranischen Raketen getroffen wurde. Gott sei Dank wurde nur ein Kind verletzt. Was wäre gewesen, wenn sich Israel nicht schützend vor seine Einwohner gestellt und gemeinam mit seinen Verbündeten 99% der Raketen und Drohnen nicht unschädlich gemacht hätte. Nur zwei Geschosse sind tatsächlich in Israel gelandet. Auch davon kaum ein Wort in der schwedischen Presse. Das Kind, das verletzt wurde, heißt übrigens Amina al-Hassouni, trägt also denselben Nachnamen wie der verblendete Cola-Hassouni aus Malmö.

Und ich lese weiter, einen anderen Artikel in der Sydsvenskan, der sich darüber beklagt, dass Malmö als Hauptstadt des Antisemitismus in Schweden bezeichnet wird. Die Anzahl der antisemitischen Übergriffe sei ja gar nicht so hoch im Vergleich mit der Zahl der antimuslimischen, meinen die Autoren des Artikels Hiba Abbas und Kenan Habul. Nein, aber die Anzahl der Muslime ist auch mittlerweile hundert Mal so hoch wie die der Juden. Und schon die Überschrift des Artikels leitet wie so oft die Gedanken des Lesers in die falsche Richtung. Es geht nicht darum, über irgendwelche Missstände in Malmö zu berichten, sondern darum, Israel anzuklagen, so wie das der gemeine Leser der Zeitung wünscht.

Und ich lese, dass man vor der israelischen Botschaft in Helsinki blutrote Farbe auf die Straße gegossen hat und frage mich, warum das niemand vor der russischen Botschaft gemacht hat. Das Gemetzel, das Putin im Februar 2022 ausgelöst hat, hat schließlich schon Hunderttausende Menschenleben auf beiden Seiten dahin gerafft, mehr als der Nahostkonflikt, seitdem er begonnen hat, ist schließlich beispiellos in der jüngsten Geschichte. Und es kommt ein böser Verdacht auf, Putin ist schließlich kein Jude, und er ist auch kein Demokrat. Könnte es sein, dass Juden und Demokraten, was auch immer sie tun, die ärgsten Feinde einiger derjenigen sind, die den Konflikt anheizen, hinter den Demonstrationen stehen, offen zu Gewalt aufrufen. Weltweit.

Und ich lese von Morddrohungen gegen Eden Golan…. Nach dem Mord an über 1200 Menschen und der Verschleppung Hunderter nach Gaza am 7. Oktober 2023 droht man schon wieder mit Mord! Weil angeblich zig Tausend Menschen in Gaza in einem Genozid ermordet worden wären? Ich bedaure JEDES Menschenleben, das in diesem Krieg zerstört wird, JEDES! Aber erfundene Zahlen des Hamas-Terrorregimes, das über die Leichen seines eigenen Volkes geht, können nicht Grundlage des Handelns in demokratischen Zusammenhängen sein.

Und natürlich taucht unvermittelt, wenn auch nicht unerwartet eine Vorzeigejüdin auf, die meint, als Israelin in diesem Konflikt keine Seite zu wählen und es dennoch tut, indem sie Wesentliches nicht sehen mag.

Und so lese ich weiter und lese und lese, bis ich irgendwann aufhöre zu lesen. Und mich frage: Wann ist dieser Hurricane vorüber, der am 7. Oktober 2023 begonnen hat und nun auf Malmö zurollt?

Dann gehe ich zur Arbeit und höre meine Kollegen. Viele sagen gar nichts. Viele meiner Kollegen sind Einwanderer aus dem Irak, dem Iran, aus Syrien, aus aller Herren Länder. Viele sehen sich selbst als Palästinenser und fragen mich am Morgen nach dem massiven Angriff des Iran auf unter anderem meinen Sohn, der in Israel lebt: Was haben sich die Ayatollas da wieder ausgedacht? Ein andere Kollege, mit türkischen Wurzeln, verteidigt Israel in einem Gespräch mit einer im übrigen sehr netten und kompetenten schwedischen Kollegin, die gerade wieder eine schwedische Zeitung gelesen und die Nachrichten ohne nachzudenken geschluckt hat. Aber sie weiß nicht, dass Sydsvenskan & Co. ihre Aufgabe nicht darin sehen, die Wahrheit widerzuspiegeln, sondern eine eigene Wahrheit zu fabrizieren, besonders, wenn es um den Nahen Osten geht, aber nicht nur, was eines der eigentlichen Problem in Schweden und Europa ist.

Und dann gehe ich am Shabbat in die Synagoge, zu meiner Gemeinde, und fühle Geborgenheit, aber auch Hoffnungslosigkeit und eine gedrückte Stimmung. Ich spüre aber auch die Kraft und Stärke dieser Gemeinschaft, auch wenn man sich nicht in allem einig ist oder just deswegen, und ich spüre den Stolz ihrer Mitglieder. Und ich bin froh, ein Teil von ihr zu sein, einen Hafen zu haben, den ich ansteuern kann.

Und wenn Schweden und Europa ihre Probleme nicht in den Griff kriegen, gibt es da ein Land, wohin ich gehen kann, auch wenn man es gern von der Weltkarte radieren würde.

Nicht zuletzt deshalb beendet man weltweit den Pessachseder mit dem eigentlich symbolischen, aber unter dem Eindruck der Ereignisse mehr und mehr wörtlich verstandenem Satz

.בשנה הבאה בירושלים

1 Responses to Nein, es geht mir nicht gut

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